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Die Medea von Lodz

Da ist eine alte Märe
Von einer Frau, Medea genannt
Die kam vor tausend Jahren
An einen fremden Strand.
Der Mann, der sie liebte
Brachte sie dorthin.
Er sagte: Du bist zu Hause
Wo ich zu Hause bin.

Sie sprach eine andere Sprache
Als die Leute dort
Für Milch und Brot und Liebe
Hatten sie ein anderes Wort.
Sie hatte andere Haare
Und ging ein anderes Gehn
Ist nie dort heimisch geworden
Wurde scheel angesehn.

Wie es mit ihr gegangen
Erzählt der Euripides
Seine mächtigen Chöre singen
Von einem vergilbten Prozeß.
Nur der Wind geht noch über die Trümmer
Der ungastlichen Stadt
Und Staub sind die Stein, mit denen
Sie die Fremde gesteinigt hat.

Da hören wir mit einem mal
Jetzt die Rede gehn
Es würden in unseren Städten
Von neuem Medeen gesehn.
Zwischen Tram und Auto und Hochbahn
Wird das alte Geschrei geschrien
1934
In unserer Stadt Berlin.
Bertolt Brecht